Café 180 Grad


180 Grad – ein Richtungswechsel ist möglich

Im Café 180 Grad gibt es einen Billardtisch und eine Kaffeebar, aber keine Kasse und auch keine Servicekraft. Wer hier einkehrt, wird offen empfangen, sollte sich aber irgendwann auch persönlich einbringen. Das Café 180 Grad ist Anlaufstelle für junge Paderborner, die aus den verschiedensten Gründen Gefahr laufen, den Anschluss an die Gesellschaft zu verlieren.

Schwierige Verhältnisse bereits im frühsten Kindesalter oder mangelnder Anschluss an Familie, Umfeld und Schule. Die Ursachen aus denen junge Menschen auf der Straße leben sind vielfältig. Die Obdachlosigkeit ist dabei zumeist nur die vordergründige Problemlage. Fühlt sich der abstrakte Entwurf eines Lebens ohne Verpflichtungen vielleicht für eine Zeit lang wie eine selbstgeschaffene Freiheit an, so häufen sich weitere Probleme an oder verschlimmern sich. Irgendwann wird den jungen Menschen jedoch die Endlichkeit und Perspektivlosigkeit dieser vormals befreiten Situation bewusst. Der kalte Schlafplatz, die Angst, Straftaten zum Opfer zu fallen, Hunger, ein nachlassender Gesundheitszustand. Und dann stellt sich die Frage: Wie will ich eigentlich in meiner Zukunft leben?

Foto Im Graffiti-Projekt haben einige Teilnehmende mit viel Phantasie und Einsatz ein Kunstwerk erschaffen, welches nun die Wände des Café 180 Grad schmückt. Dominik Steffan vom Jobcenter Kreis Paderborn (Foto links) sowie Michaela Schuff und Till Smigaj von der FAW freuen sich über die neue, großformatige Deko.

Seit einem guten Jahr gibt es für junge Paderbornerinnen und Paderborner mit multiplen Problemlagen zentral in Paderborn die Möglichkeit, das Café 180 Grad an der Alten Torgasse aufzusuchen. Der Café-Betrieb läuft wochentags jeweils von 10 bis 15 Uhr. Wegen der Corona-Beschränkungen ist aktuell nur fünf Gästen ein zeitgleicher Besuch möglich. Zusätzlich können individuelle Beratungstermine abgesprochen werden.

Was das Café 180 Grad von anderen Einrichtungen unterscheidet, ist die Unabhängigkeit von den staatlichen Sozialsystemen und deren Umsetzungsvorgaben. Der Träger des Cafés ist die FAW, die Fortbildungsakademie der Wirtschaft gGmbH, finanziert wird die „Maßnahme“ vom Jobcenter Kreis Paderborn. Die Ansprechpartner heißen nicht Betreuer oder Sozialarbeiter. Sie sind einfach Till, Michaela oder Anke. Und das ist meist in Ordnung für die jungen Menschen, die sich gegenüber den regulären Angeboten der Sozialsysteme oft eine grundlegende Skepsis angeeignet haben. So haben viele von ihnen in der Vergangenheit für sie enttäuschende Erfahrungen gemacht und möchten daher lieber auf sich gestellt sein, als fremde Vorgaben oder staatliche Regulierung zu erfahren.

Regeln gibt es jedoch auch im Café 180 Grad einzuhalten. Und die Teilnehmerinnen und Teilnehmer selbst achten darauf, dass das auch geschieht. Wer sich nicht an die Regeln hält, darf nicht wiederkommen.

Zum Beispiel gibt es für Jugendliche unter 18 Jahren eine Sprechstunde von 14 bis 15 Uhr. Ein vorheriger Zutritt zum Café ist untersagt, da sie zu dieser Zeit schulpflichtig im Klassenzimmer sitzen müssten. Innerhalb der Sprechstunde oder während der Schulferien lässt sich auf Wunsch so bei Problemen ein erster Kontakt zu Verantwortlichen, Angehörigen oder staatlichen Stellen knüpfen.

Um das Café bekannt zu machen, nutzten Till Smigaj und Michaela Schuff von der FAW zu Beginn das klassische Streetworking. Inzwischen hat sich das Angebot des Café 180 Grad in der Szene rumgesprochen und es sind keine Werbemaßnahmen mehr nötig. Das Angebot soll allerdings nicht zur reinen Freizeitgestaltung dienen. Deshalb gibt es kleine Aktivitäten, die in Gruppen erarbeitet werden. So wurde zum Beispiel bereits die Deko des Cafés gestaltet oder es wurde ein interkulturelles Kochen organisiert. Sportangebote, aber auch Begleitung zu Einkäufen oder das Schreiben von Bewerbungen sind weitere Themen, die angeboten werden.

Und es wird gesprochen über das Leben, Perspektiven, Probleme und Wünsche. Wer sich bereit erklärt, als Teilnehmerin oder Teilnehmer in das Projekt einzusteigen, erarbeitet in individuellen Gesprächen einen Fahrplan für die nächste Zeit. Monatliche Ziele werden festgehalten. Niederschwellig, in ganz kleinen Schritten. Es werden Ausweispapiere besorgt und ein Antrag auf Arbeitslosengeld II gestellt. Manchmal stehen auch gesundheitliche Probleme im Fokus, zum Beispiel, wenn eine Entgiftung erforderlich ist. Michaela und Till sind flexibel und begleiten die Teilnehmenden bei allen Fragestellungen, die auftauchen.

Das Café ist aber auch Anlaufstelle für die Grundbedürfnisse der Besucher. Hier gibt es die Möglichkeit, Kleinigkeiten zu essen und die Kleidung zu waschen. Und es ist immer ein Ansprechpartner vor Ort. Es gibt keine Anwesenheitspflichten, die Zusammenarbeit muss aus eigenem Antrieb erfolgen. Durch eine intensive individuelle Betreuung und Beratung sollen die Teilnehmenden unterstützt werden, die Gestaltung ihres Lebens wieder selbst in die Hand zu nehmen.


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